Erbsen auf halb 6 (Max Berghaus, Stefan Hansen, Dirk Reichardt) - Filmmusik-Betrachtung



Trailer zu Erbsen auf halb 6



Erbsen auf halb 6 ist ein Film von Lars Büchel aus dem Jahre 2004. In den Hauptrollen finden sich Hilmir Snaer Gudnason (Jakob) und Fritzi Haberlandt (Lilly). Er handelt von einem Theaterregisseur, der durch einen Autounfall blind wird und eine blind geborene Frau, welche sich in einem Rehabilitationszentrum für Blinde engagiert. Für die Musik zeichnete sich das Dreiergespann Max Berghaus, Stefan Hansen und Dirk Reichardt verantwortlich. Sie wurde 2004 mit dem deutschen Filmpreis in Gold in der Kategorie herausragende künstlerische Einzelleistung gewürdigt.


Lilly als Jakobs Erlöser - und umgekehrt


Die Musik zu diesem Film ist sehr vielfältig, bildet aber dennoch eine Einheit. Es gibt zwei Hauptthemen, die sich harmonisch ähneln (Link: Hörbeispiele). Beide beginnen mit einer Tonica in moll (Bsp.: A-moll) und folgend der Durparallele der Moll-Subdominante (hier: F-Dur) oder der Moll-Subdominante selbst (hier: D-moll), wobei das Thema der Trauer und Hoffnungslosigkeit eher ersteren Weg beschreitet, während das der Hoffnung in der Regel den Zweiten nimmt. Beide erfahren dann voneinander abweichende harmonische Erweiterungen. Auf dem Soundtrack hört man das Thema der Trauer erstmalig in dem Track "Gehen lernen" und im Film kurz nachdem Jakob im Krankenhaus aufwacht, in einer aktionistischen Variante, als er sich versucht das Leben zu nehmen. Das Thema der Hoffnung findet sich auf dem Soundtrack beispielsweise in dem Stück "Im Regen". Auffällig ist, dass Hoffnung und Liebe in diesem Film, wie wohl auch im richtigen Leben recht eng beieinanderliegen, denn es sind immer wieder Momente, die Jakob und Lilly zusammen erleben, welche von diesem Thema begleitet werden. Momente, in denen Lilly Jakob zeigt, dass er auch angenommen ist als Blinder.
Als Regisseur war er sehr erfolgreich und hatte eine gewisse Eitelkeit und Hartherzigkeit entwickelt, welche besonders zu Anfang des Films deutlich hervortritt. Diese Hartherzigkeit wird musikalisch unterstützt durch die Wahl der Harmonik, wenn wir bei o.g. Beispiel bleiben also A-moll zu F-Dur. Die Dreiklänge unterscheiden sich nur durch einen Ton, nämlich e und f. Ein kleiner Sekundenabstand also, welcher von Natur aus eine gewisse Schärfe mit sich bringt. Der präferierte Wechsel beim Thema der Hoffnung von, wir bleiben bei dem Beispiel, A-moll zu D-moll ist sehr viel weicher, da hier im Vergleich der Dreiklänge sich zwei Töne unterscheiden (e zu f und c zu d). Wenn in diesem Thema der Wechsel von A-moll zu F-Dur stattfindet, dann wird melodisch in der Regel das G gespielt, was ebenfalls zu einer Abschwächung der Schärfe führt.
Es soll hier nicht unangesprochen bleiben, dass Lilly ebenfalls eine Veränderung im Film erfährt, welche von mehr Selbstbewusstsein geprägt ist. In gewisser Weise werden beide Charaktere für den anderen als Erlöser dargestellt. Inwiefern das von einem Menschen realistisch zu erfüllen ist, soll hier nicht besprochen werden. In jedem Fall bekommt Jakob durch Lilly Selbstbewusstsein und umgekehrt auch. Insgesamt jedoch steht, musikalisch gesehen, Jakobs Schicksal eher im Vordergrund.


Die Szene im Rapsfeld


Neben diesen zwei Hauptthemen gibt es weitere, eher unabhängige Stücke, welche in ihrer Stimmung sehr gut in das Gesamtkonzept passen. Das wohl beste und auch bekannteste Stück des Soundtracks befindet sich auch unter ihnen. Auf dem Album ist das der Track "Im Rapsfeld". Es gibt im Film eine sehr zentrale Szene, in welcher Jakob und Lilly durch ein blühendes, gelbes Rapsfeld rennen, wobei Jakob eher umherirrt und Lilly ihm versucht zu folgen. Diese Szene ist insofern zentral, als das Jakob hier erstmalig feststellt, dass er Hilfe braucht und dann auch laut nach dieser ruft, woraufhin Lilly zu sehen ist, wie sie lächelt und nickt. Die Filmmusik wird hier fast ausschließlich durch ein Klavier gebildet. Es spielt eine treibende, melancholische, aber gleichzeitig hoffnungsvolle Melodie, die in ihrer Art mit dem Track "My heart asks for pleasure first" von Michael Nyman zu dem Film Das Piano verglichen werden kann, auch wenn Letzterer sehr viel melancholischer und schicksalshafter daherkommt.
Ein weiterer sehr schöner Track auf dem Album ist "Franziskas Fest", welcher dann durchgängig ausschließlich ein Klavier enthält. Er erscheint in der Szene, als Jakob bei seiner Mutter ankommt, und passt ganz wunderbar zu den Bildern und deren Stimmung.

Der Film endet, musikalisch gesehen, wie er beginnt. Mit einer Sopranstimme, von der man nicht so richtig weiß, ob sie realer oder elektronischer Natur ist. Vielleicht ist sie beides. Aber im Gegensatz zum Anfang, wo die Musik gefühlsmäßig viel Leere und auch Zerrissenheit enthält, ist sie jetzt gefüllt mit weichen Streichern, die das Hoffnungsthema spielen. Von diesem begleitet gehen beide Charaktere gemeinsam im Regen zusammen davon. Und wenn sie nicht gestorben sind...


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