Babel (Gustavo Santaolalla) - Filmmusik-Betrachtung



                                                                                        Trailer


                                                                             Santaolalla-Interview



Babel ist ein Film des Mexikaners Alejandro González Inárritu aus dem Jahre 2006 mit Brad Pitt, Cate Blanchett und Gáel García Bernal in den Hauptrollen. Er stellt den Abschluss der Trilogie über Gewalt, Tod und menschliche Abgründe dar, welche mit Amores Perros begann und durch 21 Gramm fortgeführt wurde. Wie für die Vorgänger zeichnete sich auch hier Gustavo Santaolalla für die Filmmusik verantwortlich, welche unter anderem mit dem Oscar gewürdigt wurde. Insgesamt wurde der Film, welcher in Cannes seine Premiere feierte, mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. Der Titel geht zurück auf den Turmbau zu Babel, welcher die biblische Sprachverwirrung mit sich brachte. Der Untertitel: "Wer verstanden werden will, muss zuhören" ist eher nicht biblisch, sondern weltlich zu sehen. Eine mögliche Interpretation ist, dass die Bereitschaft, jemanden verstehen zu wollen, auch daher entspringt, dass man das Gefühl hat, das Gegenüber höre einem zu. Man kann den Film insofern individualpsychologisch, als auch soziologisch betrachten. Ersteres gilt am ehesten für den Handlungsstrang in Japan (ein einsames, gehörloses Mädchen, welches einfach nur beachtet werden möchte), Letzteres findet sich in den Konflikten USA-Marokko (die schwierigen diplomatischen Zusammenhänge) und USA-Mexiko (besonders eindrücklich in der Szene an der Grenze, wo der Grenzbeamte einfach nicht zuhören will).


Einmal um die Welt - und zurück


Babel ist musikalisch gesehen sehr vielfältig konstruiert, was vor allem natürlich auch daran liegt, dass verschiedenste Orte auf der Welt beschrieben werden müssen. Das Schwierige für Santaolalla war wahrscheinlich, aus so unterschiedlichen Handlungssträngen ein großes Ganzes zu machen. Während bei Amores Perros und 21 Gramm noch die Beschränkung auf jeweils ein Land bestand (Mexiko in Amores Perros und USA in 21 Gramm) mussten für Babel USA, Mexiko, Marokko und Japan beachtet werden. Wobei man sagen muss, dass Erstere beide zusammengefasst werden können, da sie einen Handlungsstrang bilden. Santaolalla hat dabei darauf verzichtet, jedem Ort eine typische Note zu verleihen, die man sofort mit ihm verbinden würde. Aufgrund der zentralen Stellung der Handlung in Marokko, die alles andere bedingt, ist die Musik am ehesten auf diesen Ort fixiert.
Das zentrale Instrument der Musik ist die Gitarre, was für den Komponisten nicht untypisch ist. Wollte man das Stück des Soundtracks hören, welches den Film am Treffendsten beschreibt, würde ich auf den Track "Tazarine" verweisen. Er beinhaltet die Grundstimmung, die hauptsächliche Instrumentation (Gitarre und Synthesizer) und einen Spannungsbogen, der in etwa dem des Filmes entspricht.
Es soll im Folgenden nun auf zwei Szenen etwas spezifischer eingegangen werden, welche musikalisch und im Gesamtkonzept wirklich hervorragend gelungen sind.


Der Drogentrip


Japanische Jungen und Mädchen nehmen Drogen ein. Sie scherzen etwas herum. Dann blendet der Ton komplett aus und es bleibt nur eine schwebende Musik. Die Jugendlichen rennen durch die Fußgängerzone und bespritzen sich mit Wasser aus installierten Fontänen. Die Hauptdarstellerin der Japan-Handlung, Chieko, schaukelt auf einer Schaukel und es legt sich der Verdacht nahe, dass der Regisseur Drogenerfahrung hat. Die Musik konterkariert das Bild, welches teilweise recht hektisch ist. Aber sie soll wohl hier das Innenleben der Protagonisten widerspiegeln. Es kommt etwas Rhythmus dazu, als die Gruppe in der Bahn sitzt, in Richtung Klub, wie man später wissen wird. Es werden Straßenaufnahmen der Stadt gezeigt und eine Überblendung der Musik wird eingeleitet. Es kommt ein klarer Rhythmus hinzu, welcher anfänglich nur Höhen enthält und dann immer mehr Bass hinzugefügt bekommt, bis sie auf der Tanzfläche ankommen.
Dort findet ein überwältigendes Lichtspiel statt. Am Anfang steht ein Wechsel von Musik und Stille, je nachdem, ob Chieko von außen oder aus der Ich-Perspektive gefilmt ist (Anmerkung: Sie ist taubstumm). Die Farben wechseln zwischen grünen, gelben und roten Tönen, die allsamt recht warm gehalten sind. Nach drei Perspektivwechseln, in denen immer wieder Stille, oder besser, ein dumpfes Grummeln zu vernehmen war (vielleicht hören taube Menschen nur das), spielt die Musik für eine ganze Weile ohne Unterbrechung. Chieko scheint vergessen zu haben, dass sie taub ist. Sie fühlt sich komplett integriert. Angenommen als Teil der tanzenden Masse. Auch als Zuschauer vergisst man ihre Situation.

Doch dann kommen zwei Brüche. Erstens: Die Farben verändern sich. Es ist mit einem Mal fast nur noch blau zu sehen. Und dieses flimmert sehr stark. Und zweitens: Die Musik verschwindet wieder, als sie sieht, dass der Junge, den sie attraktiv fand, ihre Freundin küsst. Sie ist aus aller Illusion gerissen. Und dies spiegeln Bild und Ton hervorragend wider. Sie verlässt weinend den Saal und der gesamte Nachhauseweg verläuft in Stille. Diese Szene erinnert im Ansatz an die Szene im Theater aus Mulholland Drive. Dort wird auch von Anfang an gesagt, dass alles eine Illusion ist. Doch man vergisst es und erschrickt, als man merkt, dass man darauf reingefallen ist.


Der Flug im Sonnenuntergang


Eine zweite Szene, die hier besprochen werden soll, findet sich gegen Ende des Films. Es handelt sich um diese, welche von dem Track "Deportation/Iguazu" auf dem Filmmusik-Album untermalt wird. Wie die zuerst beschriebene Sequenz, ist sie flussähnlich konzipiert, ein Fluss mit einer sogähnlichen Wirkung. Sie beginnt, kurz nachdem der Beamte der Mexikanerin Amelia verkündet hat, dass sie aus den USA abgeschoben werde. An der Stelle setzt eine traurige Gitarre ein. Ein Synthesizer kommt unterstützend hinzu. Amelia wird von ihrem Sohn in die Arme genommen, während sie gen Himmel schaut. Streicher erscheinen sanft im Hintergrund. Ahmed wird tot den Berg hinuntergetragen. Sein Bruder Yussef schaut weinend in die Ferne. Er erinnert sich an Vergangenes, wie er mit seinem Bruder dem Wind trotzte. Ein tiefer Bass kommt hinzu und die Gitarre beginnt schnellere Passagen und eine Melodie zu spielen, die weder übertriebene Gefühle weckt, noch kalt lässt.
Ein Hubschrauber kommt geflogen. Er soll die verletzte Susan (Cate Blanchett) und Richard (Brad Pitt) wegbringen. Unter einer Bilderflut, welche meist die Dorfbewohner zeigt, landet er. Visuelles und Akustisches stehen dabei rhythmisch in einem Verhältnis zueinander, welches schwer zu beschreiben ist, aber eine absolute Einheit ergibt. Susan wird in den Hubschrauber gehoben. Richard will ihrem Guide etwas Geld für die Hilfe geben. Dieser lehnt ab. Alles geschieht ohne Worte; auch hier gibt es kaum etwas zu hören, außer der Musik. Richard bedankt sich und steigt ein. Der Hubschrauber erhebt sich. Die Dorfbewohner versuchen sich vor dem Wind zu schützen. Die Gitarre wird kurz leiser. Dann, für wenige Sekunden, steht sie absolut im Mittelpunkt, als der Hubschrauber in den Sonnenuntergang fliegt und die Menschen ihm folgen wollen. Kurz darauf ist er zu sehen, wie er über die Landschaft fliegt. Die Gitarre ist in ihrer alten Phrase. Im Zeitraffer geht die Sonne unter, während man den Flug verfolgt. Dann die Straßen und Dächer von Casablanca. Ein kurzer Blick auf die Hassan-II.-Moschee. Der Hubschrauber landet zu der gleichen musikalischen Phrase, zu der er gestartet ist. Kameras warten auf ihn. Man hört die Stimmen der Reporter im Hintergrund. Man sieht, wie sie sich auf das Motiv stürzen. Die Szene endet damit, dass Susan in den OP-Trakt gebracht wird und Richard allein zurückbleibt.

Diese Sequenz muss für die Cutter ein unglaublicher Aufwand gewesen sein. Es dürfte feststehen, dass das Bild hier der Musik angepasst wurde, da der Track "Iguazu", welcher diese Szene untermalt, von Santaolalla bereits für den Film The insider komponiert worden war. Was schon angedeutet wurde, ist, dass der Rhythmus von Bildern und Musik nicht übereinzustimmen scheint. Es gibt kaum Bildwechsel auf den ersten Schlag des Taktes. Aber trotzdem funktioniert es, was nahelegt, dass es sich um ein Muster handelt, welches einfach schwer zu erkennen ist.
Nach all der Verzweiflung gibt diese Szene schlussendlich Hoffnung. Etwas, was Inárritu im Nachhinein - der Film ende zu positiv - vorgeworfen wurde. Dies kann man wohl Geschmackssache nennen.


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